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5. September – 7. November 2009

Alexandra Maurer | »zersplittert«

Schwerelos ins Ungewisse

Sie arbeitet zwischen den Disziplinen. Nicht zwischen Barren und Trapez, sondern zwischen Theater, Tanz, Performance, Video und Malerei. Allerdings, wenn man das so schreibt, ergeben sich plötzlich doch Parallelen. Athletisch muten ihre Film-, Video- und Malstills alleweil an. Nur turnt uns Alexandra Maurer nicht sportliche Glanzleistung vor, sondern sie konfrontiert uns mit dem, was hinter menschlichen Bewegungsabläufen an geistiger Verrenkung zu finden wäre. In schierer Selbstversunkenheit schwimmt, planscht, springt, hüpft und windet sich der weibliche Körper. Davon zeigt sie uns Ausschnitte. Immer wieder nur Ausschnitte. Wie den Versuch eines Staccato-Entrinnens. Gehen. Anhalten. Auftauchen. Abtauchen. Atmen. Luft anhalten. Immer weiter. So bildstark, dass man meint, mitatmen, mitgehen, mitschwimmen zu müssen. Jeder Atemzug, jede Bewegung eine Vereinnahmung von Welt – oder ein Schutz vor ihr.

Wichtiger Preis
Alexandra Maurer arbeitete einige Jahre im Grand Théâtre in Genf, dort war sie für die Lichtregie zuständig. In dieser Funktion musste sie den Ablauf eines Bühnenstückes – sei dies eine griechische Tragödie oder eine zeitgenössische Komödie – genau kennen. Sie musste wissen, wie mit Licht Spannung wachsen kann, und wie sich mit dessen Reduktion ein Schleier von Erwartung über ein Bühnenbild legen kann. Das Licht, das weiss die Künstlerin, ist ein guter Teil des Weltendramas. Und dieses Wissen setzt sie in ihrem künstlerischen Schaffen um, als Kondensat, als Verdichtung und Überspielung einzelner Szenen, oder noch vielmehr als Bruchstücke einzelner Bildsequenzen – vom Leben ins Theater und von dort wieder hinaus ins Leben.
Paul Hafner hatte ein gutes Händchen, als er die Künstlerin vor zwei Jahren in seiner Galerie die erste Einzelausstellung ausrichtete. Ein Jahr zuvor war sie Teilnehmerin am Ostschweizer Kunstschaffen gewesen. Der Manor-Preis (2010) ist vorläufig das Beste, was ihr passieren konnte. Ihm wird eine Ausstellung im Kunstmuseum St.Gallen folgen, was wiederum mit internationaler Beachtung zu tun haben wird.

Bedeutungsvoll – sinnentleert
Nun ist sie mit Splitterwerken erneut bei Hafner zu Gast und scheut sich nicht, neue und ältere Werke zusammenzuführen – was ganz ins Schaffen der Künstlerin passt, ist doch das Leben immer auch ein Zurückgreifen und Herantasten an Gewesenes, Verblassendes, Verschüttetes. Maurer nimmt uns in »swim« mit in sommerlich-wässriges Tun zwischen Lust, Begehren und deren Umkehrung ins Unberechenbare. Und zeigt uns dort das Triviale, Hintergründige, Zwei-, Dreideutige. Erstens Licht, zweitens die vage Vermutung, drittens, den »Knacks«. Roger Willemsen beschreibt ihn in seinem gleichnamigen Buch wunderbar, den Moment des Kippens, und nichts läge näher als hier die Verbindung zu ihm herzustellen. Der Knacks: irgendwo und irgendwann kippt die Harm- und Sorglosigkeit ins innere Drama, in diesen Wulst des Stockenden. Als ob das reflektierende Licht im Wasser von einem Schatten verdunkelt, eine noch eben dagewesene Leichtigkeit in bleierne Schwere kippen würde.
Die Künstlerin konfrontiert uns mit diesen menschlich fatalen Möglichkeiten in farblich blendender Art – die dazwischen geschobenen Plexiglas-Bilder unterstützen diesen Eindruck neben der Malerei. Sie lässt in einem endlos scheinenden weissen Feld einen weiblichen Körper schwimmen, die horizontale Perspektive ballt sich auf im gleissenden Licht, aus dem heraus er plötzlich sehr verletzlich wirkt. Gestundetes Glück steht Kopf wie bei Baselitz, inhaltsleer, nicht interpretier-, sondern lediglich betrachtbar, schwerelos an der Schnittstelle zwischen reflektierendem Himmelblau und Untergang.

Der Bruch im Schönen
Genau so wie in ihrer Videoarbeit der rot berockte Sprung zwischen Euphorie und angsterfülltem Wut- oder Schreckensschrei – das Sinnliche eines Augenblicks überblendet vom Absturz des nächsten. Alles ist im Fluss, die Disziplinen ergänzen sich gegenseitig im Entwicklungsstadium – Malerei, fotografierte Malerei, Video, Komposition, Performance und zurück zur Malerei. Das Bild, das Bild vom Bild, der Blick, die Bewegung, fokussiert auf das Auge des Voyeurs am Schwimmbeckenrand, Körperteile aufgedunsen wie erahnte Krater auf fernen Gestirnen, blendend schön von reflektierendem Sonnenlicht und dem Glanz der Wasseroberfläche, Farben so schrill und bunt, dass nur die Leichtigkeit reinster Arglosigkeit sie zu spiegeln vermag. »muro«; »escape«; »la chute«; »swim« – »zersplittert« – a matter of splatter – oder eine Maurer-Angelegenheit von Thrill.

Brigitte Schmid-Gugler
St.Galler Tagblatt | 16. September 2009