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5. Juni – 4. Juli 2009

»short cuts« (3) | Vera Ida Müller

Die Idyllenknackerin

Vera Ida Müller malt und greift dafür zu Vorlagen. Doch über die pure Malerei hinaus verhandelt sie die Erinnerung. In der Galerie Paul Hafner gibt die St. Galler Künstlerin Licht in dunkle Bereiche.

Ein Vorhang kann ganz schön viel Unbehagen bereiten. Das Muster des hellen Stoffs ist zwar betont bieder und harmlos. Davon soll man sich nicht täuschen lassen. Im Spiel von Licht und Schatten taucht denn auch ein menschliches Profil auf. Sämtliche abgespeicherten Horrorszenen der Filmgeschichte laufen in der Erinnerung auf einmal ab. Und erst die realen! Dabei ist da nichts als lauter Malerei. Nicht einmal ein Luftzug geht durch die Räumlichkeiten im Lagerhaus.
»Vorhang« hat Vera Ida Müller (geb. 1979) 2008 gemalt. Jetzt funktioniert das Tafelbild gleichsam als Vorspiel und Auftakt zu einer raffiniert und wohlaustarierten Malerei-Installation. Es geht um präzis dieses Wechselspiel von Aussenwelt und Innenwelt, um das Abtasten von Wirklichkeit und wie wir sie in der Erinnerung speichern.

Die Grossmutter in Ehren
Zwei Dunkelbilder in Grossformat dominieren die andere Galeriewand. »Das ist meine Grossmutter«, bekennt die Künstlerin. »Am Sonntag hat sie immer diese Bluse getragen. Sie ist mir eine wichtige Bezugsperson.« Dass die dargestellten Personen aus ihrer Anonymität heraustreten, ist eher die Ausnahme im Schaffen von Vera Ida Müller. Meistens greift sie zu Fotovorlagen aus unbekannten Nachlässen, Fundstücke aus Brockenstuben und Flohmärkten. Doch die Situationen, die sie auf den Bildern vorfindet, sind kollektiv verständlich, uns allen vertraut, austauschbar, wesensverwandt. »Mich interessiert, was sich in diesen unspektakulären Bildern verbirgt. Es geht darum, Nicht-Sichtbares herauszukratzen, in Ahnung zu bringen, ohne es gleich zu benennen.«
Vielleicht hat es mit dem Ort zu tun, mit St.Gallen, wo Vera Ida Müller in kulturfreundlicher Umgebung aufgewachsen ist, dass die Person im Bild ein Gesicht bekommt. Doch nicht lange. Das Doppelbild löst sich zusehends auf. Ist in der rechten Malerei noch die Szene am Tisch erkennbar, ein Fondue Chinoise vielleicht, der Grossvater gegenüber, Messer, Rechaud, Tisch, verwischt das Dargestellte im zweiten Bild in der eigenen Spiegelung. Die einzelnen Elemente lösen sich auf, verdampfen, entschwinden, werden vom Schwarz geschluckt. Das ergibt ein höchst unangenehmes Gefühl. Zwar ist die Szene wie zur Selbstvergewisserung gespiegelt und wiederholt gemalt, doch statt eines Spiegelbildes sehen wir hinter die Spiegelfläche, in die Untiefen des Geheimnisses, die jedes Wesen und jede Situation in sich trägt.
»Sonntags I« und »Sonntags II« schwanken zwischen dem Vertrauten der grossmütterlichen Mittagstischszene, dem geliebten Ritual auf der einen Seite und dem Abgründigen, dem Weggleiten, vielleicht auch dem allmählichen Ableben der nahestehenden Person auf der anderen Seite.

Flackern im Licht
Sie mache zu jeder Ausstellung eine Art Drehbuch, versuche, auf die gegebene Situation zu reagieren und Neues, Ortsspezifisches dazu zu holen, betont Vera Ida Müller. Zu den aus der dunklen Grundierung herausgearbeiteten älteren Bildern stellt sie Licht. Die Lichtmalerei beginnt mit weisser Grundierung. Ein in gemalter Überblendung wiedergegebenes Porträt einer Frau thematisiert den Moment des In-sich-Versinkens weiter. Ihr abwesender Blick verspannt sich mit den fein flackernden Konstruktionszeichnungen auf der Wand in schwarzer, aus allen fünf Primärfarben gemischter Gouache. Diese verbinden ihrerseits das Bodenplattenprisma »Swarovski« mit einer illusionistischen Lichtquelle, der eigentlich abstrakten Malerei »Oblicht«. Wechselwirkend kommt Rätselhaftes ans Licht, um gleich wieder in sich selber zu verschwinden. »Wechselwirkend« lautet auch der Titel der installativen, dreiteiligen Arbeit.
Traum und Wirklichkeit überlagern sich. Wie ein Stück Filmband verklammert die Situation eine 8-teilige Serie kleinformatiger Malereien auf Eichentafeln, die in je anderem Blickwinkel eine Lichtung wiedergeben, ein Stück Entspannung im Garten. Die wundersame Dichte mystischer Momente, wenn Licht und Schatten, Gut und Schlecht, Positiv und Negativ, Geborgenheit und Einsamkeit, Ruhe und Entfremdung eins werden, legt sich über die Gesamtinszenierung.

Ursula Badrutt Schoch
St.Galler Tagblatt | 10. Juni 2009