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27. Februar – 27. März 2010

Ueli Alder | »Wenn'd gnueg wiit fort goscht, bisch irgendwenn wieder of em Heeweg«

Erklär mir, Heimat

Der Künstler Ueli Alder zeigt in der Galerie Paul Hafner unter dem Titel »Wenn'd gnueg wiit fort goscht, bisch irgendwenn wieder of em Heeweg« seine Arbeiten – melancholische Selbstinszenierungen zwischen Heim- und Fernweh.
Die zweideutig angelegte Idylle springt einen in diesem Raum an wie ein Sack voller winziger Reiztierchen. Neinnein! Kein Heimatgeläut, keine Treicheln und kein Zäuerli. Nur ein Rundblick auf vier Wände. Gemälde? Standbilder aus einem Film oder Skizzen für Bühnenbilder eines bäuerischen Dorfschwanks im Säli des »Alpenblicks« in Urnäsch?
Das Hirn verkabelt Vertrautes: Tausendmal dichterisch aufgegriffene Motive – beschrieben von Annette von Droste-Hülshoff, Eduard Mörike, Friedrich Hölderlin sowie zahlreichen Zeitgenossen. Nicht minder zahlreich nachgewiesen die Annäherungen in der bildenden Kunst. Und nun ist da dieser Neue. Ein Wilder. Ein junger Mann namens Ueli Alder, Jahrgang 1979. Er kommt aus Urnäsch, hat an der Zürcher Hochschule der Künste die Fotoklasse besucht und mit seinem künstlerischen Approach bereits während des Studiums die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Er macht – in der Wegbeschreitung von Künstler-Ikonen wie Cindy Sherman, Urs Lüthi oder Manon – alles anders und sich seine Heimat, die er vor Jahren verliess, noch einmal neu zu eigen. Wie ein weither Gereister oder ein lauernder Täter auf der Suche nach der Hinterlassenschaft einer Herzenssache.

Stolz und Abrechnung
Alders Untersuchungen sind filmisch-psychologische Standbilder, er zerlegt den Mythos wie ein erlegtes Tier, hantiert farblich und bildkompositorisch mit dramatischen Effekten. Wie Ingeborg Bachmann in ihrem Gedicht »Erklär mir, Liebe« nicht nur das Verstehen jenes grossen Gefühls einfordert, sondern ebenso die Entfremdung des Menschen von seinem natürlichen Ursprung meinte, sind Ueli Alders «Selbstinszenierungen» künstlerisch äusserst feinfühlig geäusserte »Zitate« zu Identität, zur »inneren« Heimat im Ausserrhoden.
Als Allrounder seiner fotografischen Kabinettstücklein »beschreitet« er seine Bilder wie ein Filmheld, gleich schwer die Anteile des Beschwörers und des Fliehenden. Da ist dieser in sich gekehrte Blick des Bauern im knietiefen Schnee zwischen der am rechten Bildrand angeschnittenen Scheune und dem Holzzaun. Da sind die »bauernmalerischen« Settings, aufgenommen im Brauchtumsmuseum Urnäsch, mit den museal wirkenden Requisiten einer Ballenberg-heilen Welt. Der reglose Blick des »Hauptdarstellers« ist in die Vieldeutigkeit gerichtet: Unterdrückter Zorn? Eigenbrötlerische Selbstzufriedenheit?
Ueli Alders Crash der Gewissheiten bricht die Kopf- und Bildordnung, im Schnittgeräusch der Interpretationsmöglichkeiten scheuchen sie auf wie Krähen in den hohen Himmel: Er »spielt« – augenzwinkernd, liebevoll – die vielfältig technischen Möglichkeiten des Montierens ausnützend, den Part des »Chrenzemannli«, oder als Polaroidaufnahme einen »Mann im Schnee«; die beiden Figuren im Bild »Bärentöter«, den »Frevler« und einen der »Gründerväter« auf der mit Inkjet-Technik bearbeiteten Schwarzweissaufnahme. Die antik eingerahmte Fotografie zeigt die Alderbuebe mit dem Künstler in ihrer Mitte, dem Geist aus der Zukunft mit Gitarre, flirrend zwischen Nostalgie und Nestbeschmutzung.

Das Spiel mit Möglichkeiten
Über das suggestiv Vertraute in den neu geordneten Bildfindungen schiebt Alder die Endlosschlaufe der Selbstbefragung. Er verfremdet die Historizität des Abbildes mit dem Auftritt des kostümierten Migranten in der Welt seiner Wurzeln. Wenn er in dem grossformatigen Pigmentdruck auf Büttenpapier mit dem Titel »Sioux« spielt, indem er das im Gemüsegarten neben dem Appenzellerhaus aufgebaute Tipi fotografiert, denkt er sich vermutlich genau in jene Robinsonade hinein, welche ihn auch zu dem in ihm schlummernden »Cowboy« im gleichnamigen Bild oder zu jenem im Humphrey-Bogart-Look gekleideten Unbekannten werden lässt, der, die Fingerkuppe wie zum Gruss an der Hutkrempe, ein Haus verlässt.
Niemand winkt, wie überhaupt kaum Menschen auftauchen. Wo es sie gibt, scheinen sie in sich gekehrt, wortkarg, dem Geschehen gegenüber unbeteiligt. Das brennende Haus im Hintergrund als Metapher für die lodernde Seelenwelt, die sich äusserlich in den Grautönen der Tage abspielt; nur die zusammengebundenen Katzenschwanz-Stengel zum Polieren des Chäs-Chessis und die gleissend sich abhebende Felswand blenden gegen das »Werweissen« hin.

Brigitte Schmid-Gugler
St.Galler Tagblatt | 5. März 2010