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16. April –15. Mai 2010

Andrea Giuseppe Corciulo | »Congrès international de Folklore«

Rätselhafte Rebusse

Andrea Giuseppe Corciulo präsentiert seine aktuellen Gemälde in der Galerie Paul Hafner. Ausgangspunkt der Bilder sind freie Bildassoziationen des Künstlers.
Der Finger fährt über die Seiten und Wörter eines Fremdwörterlexikons, und das Wort, bei dem er auf ein verabredetes Signal hin stehenbleibt, wird zum Ausgangspunkt für meistens recht gewagte Übersetzungen – ein beliebtes Gesellschaftsspiel, nicht nur deshalb, weil die schlagfertigsten Teilnehmer mit ihren Deutungen zur Unterhaltung beitragen, sondern auch, weil sich immer wieder zeigt, wie gross und vielseitig der Bereich des Unbekannten ist.

Fremdartige Sujets
Ähnlich mag es dem Besucher der jüngsten Ausstellung bei Paul Hafner gehen. Wer hätte gewusst, dass es sich bei «Ekibastus» oder «Tuxpanguillo» um einen sibirischen und einen mexikanischen Ortsnamen handelt? Andrea Giuseppe Corciulo verwendet sie als Bildtitel für zwei seiner aktuellen Gemälde. Das Fremdartige des Titels spiegelt sich in den Sujets: Vor Hähnen aus Ton sitzt in schwarz-weiss gestreifter Kleidung ein Mann mit feinem Malerpinsel in der Hand. Sein Kopf ist beschnitten, ebenso wie sein linker Arm und der gesamte Unterkörper. Sofort beginnt im Kopf des Betrachters die Assoziationskette anzulaufen: Sibirien und Häftling, das liegt nahe, Pinsel und Keramik auch, doch ein Gefangener, der Hähne glasiert? Und warum sind die Hähne um 90 Grad gedreht?

Vieldeutig und hintergründig
Der St. Galler Künstler hat bereits in früheren Serien gezeigt, dass er ein Meister der Verrätselung ist. In der Ausstellung »Congrès international de folklore« erlebt sein virtuoses Spiel mit Andeutungen und Motiven einen neuen Höhepunkt. Zwar taucht immer wieder Bekanntes auf, doch die Zusammenstellungen sind mirakulös, vieldeutig und hintergründig. Ein modernistischer Häuserblock vor Ziereule, ein Pferd vor Schmuckteller mit rosa Wolkenform, Textilfragmente vor Männerporträts – es lässt sich keine Erklärung finden.
Das birgt die Gefahr, dass der Betrachter sich ratlos abwendet, doch dies weiss Corciulo auf zweierlei Weise zu verhindern. Gelingt es zwar nirgends, ein Gemälde vollständig zu entschlüsseln, so gibt es doch immer wieder Versatzstücke, die auf eine vermeintlich bekannte Fährte locken und die Aufmerksamkeit fesseln. Wer zum Beispiel könnte das gekrönte Haupt in »Tuxpanguillo« sein? Und die Figur davor? Ein Luchador, ein Cowboy oder beides? Und dann die anderen Bildtitel: »Volksmedizin« oder »Erdaufschliesser«, »Graskönig« oder »Märchenerzähler« – schon wieder ist der Betrachter gefangen genommen von der suggestiven Kraft der Werke. Sie laden zu individuellen Assoziationsketten ein.

Unschärfe
Die andere Stärke der Bilder liegt in ihrer Ästhetik. Nicht nur in der inhaltlichen Kombination der Motive, sondern auch im Spiel von gross und klein, farbig und monochrom, Ausschnitt und Gesamtansicht, Detailreichtum und Fläche. Oft ist der Hintergrund neutral gehalten, was die Motive umso stärker hervortreten lässt. Sie wiederum werden gedreht, angeschnitten, verdeckt und multipliziert. Kontraste werden geschaffen und wieder aufgehoben.
In fotorealistischer Manier legt Corciulo eine Unschärfe über alle seine Gemälde. Die Konturen wirken leicht verschwommen und so sind die dargestellten Dinge weniger stark gegeneinander und gegen den Hintergrund abgegrenzt. Wo jedoch der Fotorealismus dazu neigt, die Bildoberfläche so zu behandeln, dass sie schliesslich steril, leblos wird, ist bei Andrea Corciulo auch die Malerei selbst, der Duktus noch Thema.

Kristin Schmidt
St.Galler Tagblatt | 22. April 2010