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2. April – 21. April 2011

Rik Beemsterboer | »Portraits«

Geflutete Macht in Furchen

In seiner zweiten Einzelausstellung in der Galerie Hafner zeigt der Künstler Rik Beemsterboer grossformatige Porträts von Künstlern und Machthabern. Für letztere Werkserie hatte ihm die Stadt einen Werkbeitrag zugesprochen.

So nah kommt ihm sonst nur Ruby. Hautnah. So nah, dass sich unter dem Mikrokosmos von der Epidermis gar Narben (von Straffungen) verflüchtigen. Sandgestrahlte Intimität im Gesichtsuniversum. Der Mund, das gilt auch für die übrigen Porträts – folglich die Münder haben etwa Fischhaftes. Etwas Fischiges. Schlanke Forelle, wohlgenährter Karpfen. Dazu glitschig. Wörter, Sätze, Überzeugungsreden, Manifeste, Beschwichtigungen und Beschwörungen gleiten, rutschen, schiessen aus ihnen hervor.
Bei seinem, Berlusconis Mund folgt man, räumlich doch etwas auf Distanz gegangen, den seitlichen Falten bis zu den Nasenflügeln. Allgemein als Lachfalten bekannt. Diese hier sind trotz Lifting schmale Canyons, durch die man, flösse denn zum richtigen Zeitpunkt eine Krokodilsträne herunter, mit dem Kanu paddeln könnte. Die Wangen sind Erhebungen mit gefransten Ausläufern gegen die Lider an den Uferzonen der Augen. In den Lichtpunkten spiegelt sich der Weltenlauf, zu dem diese als Abbilder hergewuchteten Entscheidungsträger, deren Macht wir täglich und real in Print- und elektronischen Medien mitverfolgen können, einen nicht unbeträchtlichen Teil beitragen.
Was würde man in diesen B-Blick interpretieren, wenn das Gesicht ein unbekanntes wäre? Wirkte sein Charakter auch dann unergründlich, leicht abschätzig, und, wir wissen es zu gut, zynisch? Nehmen wir, wenn wir in diesem Ausdruck nun die Antwort suchen und zu finden glauben, etwas vorweg, was der Künstler gar nicht beabsichtigt?

Unergründliche Visagen
Rik Beemsterboer stellt nicht »zur Schau«. Dafür ist er zu sehr der Forschende, der es auf die Fragestellung abgesehen hat, ohne Antworten parat zu haben. Er malt Gesichter, wie andere Berge und Kühe malen (tut er übrigens auch). Indem er sich den Porträtierten so sehr nähert, dass sie beim Malen ihre Physiognomie einbüssen und nur auf grössere Distanz Plastizität erhalten, lädt er die Betrachtenden ein, diese Scapes zu begehen, um später den an den Sehsohlen klebenden Matsch abzukratzen. Den Matsch von Egomanen, Despoten und Selbstdarstellern, die hier als monochrome Bläulinge wie Mondgesichter auf der Oberfläche flutender Wasser aufscheinen.
Der Holländer Beemsterboer, seit elf Jahren in St. Gallen wohnhaft und als Künstler tätig, macht in der Hängung seiner grossformatigen Bildtafeln in Öl auf Leinwand, Grösse 180 mal 140 Zentimeter, keinen Unterschied zwischen Boshaftigkeit und Milde, zwischen Despoten und gutwilligen Strategen. Er überlässt es den Betrachtenden, darüber nachzudenken, ob es in diesen vergrösserten Visagen – alle berühmt und die meisten berüchtigt – und deren »Verhängnissen« Parallelen zu finden gäbe. Aufgereiht sind hier Barak Obama neben Hugo Chávez, Silvio Berlusconi neben Angela Merkel, Muammar al-Gadhafi neben Dalai Lama; die Namen der Persönlichkeiten geben den Malereien die Titel.
Ganz gegensätzlich auch in der Farbigkeit die zweite Werkserie. Es handelt sich um Künstlerpersönlichkeiten, welche das Schaffen Rik Beemsterboers vermutlich auf die eine oder andere Weise beeinflusst haben dürften.

Kunst und Politik
Mit Gerhard Richter verbindet ihn die abgemalte Fotografie, eine von der Pop-Art beeinflusste Technik, die Richter später wieder ablegte, und dennoch bemerkte er, er verdanke Andy Warhol die Anerkennung des Mechanischen im Prozess des Abmalens. Aufgereiht wie die Perlen einer Kette hängt hier zwischen Richter und Warhol der als Graffitikünstler bekannt gewordene Keith Haring, der jüngste von den vier Porträtierten. Haring starb – drei Jahre nach Andy Warhol – 1990 im Alter von 32 Jahren an Aids. Auch er hatte Warhol gekannt und war mit ihm befreundet gewesen. Bekannt ist Keith Harings Malerei mit dem Titel «Andy Mouse», eine Mischung aus Andy Warhol und der Mickey Mouse. Und dann hängt da noch der gute alte Vincent van Gogh, skeptisch, in der Hängung das Scharnier bildend zwischen Kunst und Politik, zwischen moderner Malerei und leicht verschrumpelten (Irre)führern.

Brigitte Schmid-Gugler
St.Galler Tagblatt | 11. April 2011