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14. März – 2. Mai 2015

Marianne Rinderknecht | »I'm so fucking perfect«

Ich bin so sexy, und ich weiss es

Inspiriert von einem Atelieraufenthalt in Paris hat die St. Galler Künstlerin Marianne Rinderknecht zwei neue Werkserien geschaffen. Thematisch beschäftigen sie sich mit der Perfektion und ihrem Scheitern. Zu sehen sind sie bei Paul Hafner.

»Ich bin sehr intelligent und clever«, »Alle lieben mich«, »Ich bin einfach die Beste«. Insgesamt 25 solche vor Selbstbewusstsein strotzenden Ich-Botschaften hat Marianne Rinderknecht mit Glitzerfarbe auf kleine Spiegel geschrieben. Es sind Aussagen, die provozieren und unangenehm berühren. Niemals würden wir solche Sätze laut vor Publikum aussprechen oder wenn, dann höchstens mit einem eindeutig selbstironischen Unterton. Denn so viel Selbstvertrauen kommt schlecht an – besonders in unseren Breitengraden. Deshalb wohl hat die St. Galler Künstlerin für ihre Einzelausstellung in der Galerie von Paul Hafner die Installation im (Spiegel-)Kabinett inszeniert, wo man vor neugierigen Blicken geschützt die Wirkung dieser Sätze auf das eigene Spiegelbild erproben kann.

Bonbonfarbener Narzissmus
Eigentlich hat Marianne Rinderknecht ihre Spiegelbotschaften auf Englisch verfasst. So klingen sie in unseren Ohren etwas erträglicher und weniger befremdlich als auf Deutsch und wecken gar Erinnerungen an den einen oder anderen Popsong: »I'm so sexy and I know it«, »I'm young forever« oder »I'm so fucking perfect« – letztere Aussage gab der Installation ihren Titel. Nur scheinbar abgemildert wird der narzisstische Gehalt der Sätze durch die in Bonbonfarben gehaltenen Rahmen und die farblich darauf abgestimmte Glitzerschrift, die dem Ganzen einen kindlich-naiven Anstrich verleiht.

Bildlegenden für Selfies
In ihrem Kern ist Marianne Rinderknechts plakative Installation nichts anderes als eine präzise Analyse unserer hedonistischen Gesellschaft, in der niemand wirklich erwachsen werden will. Sätze wie »I'm so happy happy« oder »I'm very successful« sind die Bildlegenden jener Selfies, die wir täglich in den sozialen Medien posten und die aller Welt beweisen möchten, wie perfekt unser Leben ist. Gleichzeitig sind es auch Selbstbeschwörungsformeln, die uns mental für die unerbittliche Welt da draussen rüsten sollen, wo zunehmend nur die Schönsten, Stärksten und Schlausten überleben. »Diese Arbeit ist sehr ironisch gemeint«, sagt Marianne Rinderknecht, »aber manche spüren die Ironie nicht.«

Leuchtspray auf Bauernmalerei
Die in ihrer Aussagekraft vielschichtige Spiegelinstallation nahm ihren Anfang in Paris, wo Marianne Rinderknecht letztes Jahr dank eines Stipendiums von Visarte Ost während vier Monaten in einem Atelier der Cité internationale des Arts arbeiten durfte. Auch die andere Werkgruppe, die in der Ausstellung zu sehen ist, entstand teilweise schon in Paris. Es sind drei grossformatige und mehrere kleinformatige Arbeiten, die alle auf demselben Prinzip beruhen. Zuerst hat Marianne Rinderknecht in einem aufwendigen Prozess symmetrische Formen in Öl gemalt. Die in bunten Farben gehaltenen Muster erinnern an Bauernmalerei, indische Volkskunst oder Kaleidoskope.
In diese Harmonie greift Marianne Rinderknecht mit Acrylfarbspray in leuchtendem Gelb, Grün und Orange ein. Sie lässt die Farbe unkontrolliert über die perfekt ausgeführten Ölgemälde fliessen, bis Farbspuren die Leinwand überziehen.

Kein wahrer Dialog
Bewusst geht Marianne Rinderknecht das Risiko ein, mit den Sprayinterventionen das Bild zu zerstören und damit die Arbeit mehrerer Tage. »Den Spray in die Hand zu nehmen, braucht schon Mut«, sagt die Künstlerin, die sich als sehr harmoniebedürftig bezeichnet. Dass die Leuchtfarben nicht UV-beständig sind und sich im Verlaufe der Jahre verändern werden, sieht Marianne Rinderknecht hingegen nicht als Nachteil: »Man altert gemeinsam mit den Bildern.« Auch die Wandbilder, mit denen sich die Künstlerin einen Namen gemacht hat, sind nicht für die Ewigkeit bestimmt. Doch die Frage bleibt: Gewinnen die perfekt gemalten Hintergrundbilder tatsächlich durch die Sprayereien? Man wird den Eindruck nicht los, dass sich zwischen beiden Bildelementen, den perfekten Mustern und den zufällig entstandenen Farbspuren, kein richtiges Gleichgewicht und kein wahrer Dialog einstellen will. Dies lässt die Bilder unfertig wirken.

Christina Genova
St.Galler Tagblatt | 23. März 2015