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19. August – 10. September und 9. Oktober – 4. November 2017

Ueli Alder | »out there...«

In seiner neuen Werkserie lässt sich Ueli Alder von Bildern des Schweizer Malers Robert Zünd inspirieren, dessen Motive hauptsächlich idyllische Landschaften waren. So streift Ueli Alder durch’s Appenzellerland, durch die Wälder auf der Suche nach perfekter Idylle, fotografiert auf längst abgelaufenes Filmmaterial und entwickelt dieses dann von Hand.
»out there …«: eine Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit.


St.Galler Tagblatt | 5. Oktober 2017

»Ich bin ein Extremist«

In seiner neuen Werkserie »out there ...«, zu sehen in der Galerie Paul Hafner, fordert Ueli Alder die Wahrnehmung der Betrachter heraus: Zeigt er ihnen Bilder aus der realen oder der virtuellen Welt?

Merken sie’s oder merken sie’s nicht? Das geht Ueli Alder wohl jedes Mal durch den Kopf, wenn er Besucher durch die Galerie Paul Hafner führt, wo »out there ...«, die neuste Werkserie des Urnäscher Fotografen zu sehen ist. Es ist bereits seine vierte Einzelausstellung beim St. Galler Galeristen. Inspiriert seien die Bilder von den Gemälden des Luzerner Malers Robert Zünd, liest man in der Einladung zur Ausstellung. Damit führt Ueli Alder die Betrachter auf die falsche Fährte. Ja, Wälder sind es, die Ueli Alder fotografiert hat, so wie Robert Zünd sie im 19. Jahrhundert in naturalistischer Manier bevorzugt gemalt hat. Heute ­würde man von Fotorealismus sprechen. Kennengelernt hat Ueli ­Alder Zünds Schaffen, als er als Zwanzigjähriger mit seinem Vater, dem verstorbenen Bauernmaler Ruedi Alder, zum ersten und einzigen Mal gemeinsam das Kunsthaus Zürich besuchte. Dort machte ihm der »Eichwald« von Zünd grossen Eindruck: »Er hat jedes Blatt einzeln gemalt.«
Für einige der Fotos ging Ueli Alder tatsächlich raus in die Natur, ins Appenzellerland zumeist, manchmal mit zwei grossen ­Kameras und 30 Kilogramm ­Gepäck. An den Rossfall mit dem seltsam türkisfarbenen Wasser und dem Moos, das weiss wie Schnee auf den Steinen klebt. Diese Irritationen sind Resultat davon, dass Ueli Alder mit längst abgelaufenem Filmmaterial arbeitet, das ausserdem für eine Studiosituation mit Kunstlicht gedacht wäre. »Ich setzte mir selber Grenzen«, sagt Ueli Alder zu dieser Versuchsanlage. Bis er die Fotos im Atelier in der Dunkelkammer entwickelt hat, weiss er nicht, ob das Bild gelungen ist, ja nicht einmal, ob das alte Fotomaterial überhaupt noch ein Bild hergibt. Für drei Aufnahmen, die im Zürcher Sihlwald entstanden sind, verwendete er einen Infrarotfilm, der die für das menschliche Auge nicht sichtbare Infrarotstrahlung festhält.

Zwei Stunden virtuellen Fussmarsch
Doch eigentlich geht es Ueli Alder bei seinen neuen Fotografien nicht in erster Linie um den Wald, sondern um die menschliche Wahrnehmung. Denn fast die Hälfte der ausgestellten Bilder sind die Ausbeute von Streifzügen, die der Fotograf nicht in der realen Natur unternahm. Alder durchwanderte die virtuelle Welt eines Jagdsimulationsspiels, was aber nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist und auch nicht deklariert wird. Im Spiel soll die Natur so echt wie möglich wirken: »Mit der Zeit begegnete ich jedoch immer wieder denselben drei Bäumen«, sagt Alder. In vielen dieser Spiele ist auch eine Fotofunktion eingebaut, die rege genutzt wird. »In-Game-Fotografie« nennt man diese neue Kunstform.
Fotos in der virtuellen Welt zu machen ist schwieriger, als man vermutet. Denn zwar kann man sich im Spiel frei bewegen, 50 Quadratkilometer umfasst das Jagdgebiet. Es gibt sogar zwei Umgebungen: Man hat die Wahl zwischen einem kanadischen oder mitteleuropäischen Wald. Doch weder Tageszeit noch Wetterverhältnisse können ausgesucht werden, ebenso wenig der Ausgangspunkt des Jagdausflugs. Das bedeutet, dass Ueli Alder zwei Stunden virtuellen Fussmarsch auf sich nehmen musste, um von der Jagdhütte zum Wäldchen zu gelangen, das er als Motiv bestimmt hatte.
Dass etwas nicht stimmen konnte, fiel vor allem Berufskollegen auf: »Welchen Filter hast du gebraucht?«, wollten sie von Ueli Alder wissen. Andere Besucher fragten, ob er Gemälde fotografiert habe oder es denn im Appenzellerland Buchenwälder gebe. Ja, die gibt es, aber die fünf Buchenwaldbilder stammen trotzdem nicht aus der Natur. Nur eine einzige Person vermutete bisher, dass ein Teil der Bilder aus einem Computerspiel stammen könnte.
Es hat etwas Didaktisches, wie Ueli Alder den Betrachtern vor Augen führt, wie sehr sie es verlernt haben, Bilder richtig zu lesen: »Ich will sie nicht an der Nase herumführen, sondern zum genauen Sehen sensibilisieren.« Er plädiert gar dafür, dass die Analyse von Bildern ein Schulfach werden sollte. »Ich bin ein Extremist«, sagt der Fotograf, der nur analog fotografiert und der Digitalfotografie nichts abgewinnen kann: »Sie hat nichts mit Fotografie zu tun.« Die Bildmanipulation finde schon in der Kamera statt. Die Software entscheide, welches Bild entstehe, und nicht der Fotograf. Analoge Bilder, ist Ueli Alder überzeugt, hätten einen ganz anderen Geist.

In »Appenzellerecke« gedrängt
Kaum hatte Ueli Alder den ­Diplomstudiengang Fotografie an der Zürcher Hochschule der Künste 2008 abgeschlossen, wurde er auch schon bekannt mit der eindrücklichen Serie »Wenn’d gnueg wiit fort goscht, bisch irgendwenn wieder of em Heeweg«, die er bis 2014 fortsetzte. Geschickt verwob er darin das Klischee des »Lonesome Cowboy« mit jenem des Appenzellers. Es sind nostalgische Bilder, die ausserhalb von Raum und Zeit zu schweben scheinen, aber auch Irritationen beinhalten. Der frühe Erfolg hatte aber auch seine Tücken. Ueli Alder wurde in die »Appenzellerecke« hineingedrängt. »out there ...« ist in diesem Sinne ein Befreiungsschlag, eine Serie, die konzeptioneller ist als die vorhergehenden, in der aber auch eine gehörige Portion Kulturpessimismus mitschwingt. Ueli Alder ist und bleibt ein Romantiker.

Christina Genova