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26. Januar – 9. März 2013

Gilles Rotzetter | »Wild Lonely«

Im Rausch der Farben

Gilles Rotzetter zeigt unter dem Titel »Wild Lonely« aktuelle Arbeiten in der Galerie Paul Hafner. Der Westschweizer Künstler reflektiert in seinen überbordenden, kraftvollen Gemälden Zeit und Vergangenheit.

Vital und ungestüm ist Gilles Rotzetters Malerei: Farbe strudelt, wirbelt über die Fläche. Das Material tost über die Leinwand, bildet Gipfel und Täler, bricht sich an Dämmen. Jeder Pinselstrich ist ein Ereignis. In ihrer Summe künden die malerischen Gesten vom Rhythmus der Malerei, von Schwung und Energie. Letzteres haben sie mit den Farbtönen gemein. Auch sie sind Zeichen dynamischer Prozesse.
Darüber hinaus steigern die grellen Farben den absurden Charakter so mancher Szene: Ein leuchtend blauer Bär schreitet über orangefarbenes Land. Rote Gräber sind in giftgrünes Friedhofsgras gestochen, die gelbe Trauergesellschaft tanzt vor den blauen Tannen, dahinter brennt der rote Himmel. Ein Vogel sitzt zwischen Zahnrädern über einem sprudelnd sich ergiessenden Rohr.

Die Vergangenheit befragen
Nirgendwo gibt es konkrete Vorlagen für diese Gemälde. Die Arbeiten sind sehr persönliche Bilder des 1978 in Vevey geborenen Künstlers, entspringen seinem individuellen Speicher. Da sich dieser Speicher aber aus Gesehenem und Erinnertem speist, hat er viele Verknüpfungen zum kollektiven Gedächtnis. Der einsame Cowboy löst auch bei jenen Assoziationen aus, die nicht wie Rotzetter eine Zeitlang in den USA gearbeitet haben. Der Künstler zitiert die Klischees und unterläuft sie mit seiner unkonventionellen Malerei. Daneben schöpft er aus einem unendlich grösseren Kosmos. Gilles Rotzetter rezipiert die Arbeit der Historiker und Archäologen. Ihn faszinieren alte Weltkarten. Die Geschichte erweitert seinen Horizont für die Gegenwart. Der Künstler befragt die Vergangenheit, um Aussagen für unsere eigene Zeit treffen zu können. Die Kunst ist dabei sein Mittel, Dinge nicht zu vergessen, und das Zeichnen, das Mittel, um die Welt zu verstehen.
Als Rotzetter beispielsweise im Schweizerischen Institut in Rom weilte, war er zunächst von der Menge der hochkarätigen Skulpturen und Bauten ebenso wie von jener der Touristen wie gelähmt. Bald jedoch hatte es ihn gepackt: Zeichnend machte er sich auf die Spur aller Gemälde Caravaggios in der Stadt. Von Caravaggio selbst sind keine Zeichnungen erhalten. Indem sich Rotzetter das Werk des grossen Meisters zeichnend aneignet, erfährt es eine erfrischende Verwandlung. Rotzetter befreit es vom Staub jahrhundertelanger Anbetung und präsentiert es unmittelbar und lebendig.

Vision des »Visiophones«
Das Originalskizzenbuch ist in der Galerie Paul Hafner leider nicht zu sehen, grossformatige Kopien dienen als Ersatz. Sie sind gemeinsam mit anderen Zeichnungen Rotzetters im kleinen Raum der Galerie zu sehen. Hier hängt auch das Werk »Radiophonie Anticipation«. Es ist ein weiteres Beispiel für die Parallelen der Geschichte, bezieht es sich doch auf einen alten Atlas der Technologie. Darin wurde schon 1927 von einem «Visiophon» berichtet, das 1993 allen Menschen zur Verfügung stünde. Rotzetter hat den Text niedergeschrieben und das Schreiben als bildnerischen Prozess umgesetzt. Entdeckungen wie das «Visiophone» gibt es immer wieder in dem Werk des Künstlers, mitunter sind sie weniger offensichtlich, vieles bleibt auch rätselhaft. Etwa jene schwarze Kapsel mit roten Fugen in »Antarctica starts here II«. Obschon mit einem Ausguck versehen, gibt ihre hermetische Form keine Andeutungen preis, da mag das giftige Grün noch so drängen. Aber auch wenn das Bild sein Geheimnis für sich behält, weckt es die Lust, weiterzuschauen. Gilles Rotzetters Malerei berauscht die Sinne.

Kristin Schmidt
St.Galler Tagblatt | 5. Februar 2013